In die deutschen Stromnetze wurde nach der Liberalisierung des Strommarktes 1998 viele Jahre lang zu wenig investiert. In der nun anstehenden Auflösung des Modernisierungsstaus läge der Vorteil darin, dass das Netz nun gleich auf das erneuerbare Energiesystem der Zukunft vorbereitet werden kann, erklärt die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) und schreibt: „Die Netzbetreiber sind nun am Zuge, die Investitionen in ihre Infrastruktur in Angriff zu nehmen. Anreize bestehen angesichts einer Rendite von mehr als neun Prozent. Zugleich darf das langsame Tempo bei der Modernisierung des Stromnetzes nicht als Vorwand dienen, Investitionen in den erforderlichen Ausbau erneuerbarer Energien zu bremsen.“
Ins Blickfeld gerückt sind die Stromnetze nicht zuletzt durch den kürzlich vorgelegten Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber. „Dass die erneuerbaren Energien den Modernisierungsbedarf in den Stromnetzen beschleunigen, ist unstrittig. Die erneuerbaren Energien sind ein wichtiger Treiber für die Anpassung der Netzinfrastruktur. Gerne vergessen wird dabei allerdings, dass schon vor der Energiewende von 2011 erheblicher Investitionsbedarf bestand“, erinnert der AEE-Geschäftsführer, Philipp Vohrer.
Von den 2009 im Energieleitungsausbaugesetz festgelegten rund 1.800 Kilometern an Trassen sind laut Bundesnetzagentur (BNetzA) bis jetzt erst 214 Kilometer gebaut. Zudem hat die BNetzA wiederholt auf Nadelöhre in den Netzen hingewiesen, die es für eine effiziente Nutzung erneuerbarer Energien zu beseitigen gilt. Die Zahlen der BNetzA zeigen, dass die Netzbetreiber jetzt am Zuge sind, in ihre Infrastruktur zu investieren. „Nach der klaren Entscheidung für den forcierten Umstieg auf erneuerbare Energien ist die Zeit reif, die Stromnetze an diesem Ziel auszurichten. Damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Modernisierung und Systemwechsel. Beides in einem Zuge zu realisieren, ist volkswirtschaftlich viel günstiger als ein isoliertes Vorgehen“, betont Vohrer.
Warnung vor Missbrauch des Themas Netzausbau
Die BNetzA hat mit ihrer Analyse besonders stark beanspruchter Leitungen – so zwischen Bayern und Thüringen oder zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen – wichtige Hinweise auf den künftigen Netzausbaubedarf gegeben. Vohrer: „Bestehende Engpässe im Netz dürfen nicht so gravierend werden, dass sie die Ausbaudynamik bei den erneuerbaren Energien gefährden. Bisher ist dies auch noch nicht der Fall. Das wichtige Thema des Netzausbaus darf nicht missbraucht werden, um den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien auszubremsen.“
Flexibilisierung des Stromverbrauchs möglich
Das Energiesystem der Zukunft wird von den Erneuerbaren geprägt. Die AEE geht davon aus, dass ein flächendeckender Ausbau der erneuerbaren Energien in Verbindung mit einer Flexibilisierung des Kraftwerksparks und des Stromverbrauchs den Bedarf an neuen Höchstspannungstrassen sogar verringern kann. Dies begründet sie mit der dezentralen Struktur der Erneuerbaren. Moderne Verteilsysteme, sogenannte Smart Grids, können zur Entlastung der Übertragungsnetze beitragen. Sie können helfen, die bisher kaum erschlossenen Potenziale zur Steuerung der Stromnachfrage zu heben.
Branche an Lösungen beteiligt
Zur Stabilisierung und Entlastung der Netze ist die erneuerbare-Energien-Branche selbst an Lösungen beteiligt. „Moderne Windkraft- und Solarstromanlagen beherrschen alle relevanten Systemdienstleistungen, um Frequenz und Spannung im Netz stabil zu halten. Ihre dezentrale Struktur entlastet die Übertragungsnetze. Für die Energiewende brauchen wir die Solarenergie ebenso wie die Windkraft, und den Norden Deutschlands genauso wie südliche Regionen“, so Vohrer.
Natalie Hartmann
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