Als der Klima-Rebell James E. Hansen im Jahr 1988 zum ersten Mal die Bühne der Weltpolitik betrat, überrollte gerade eine extreme Hitzewelle die USA. Eine Dürre machte die Ernten zunichte, und auf dem Mississippi blieben die Lastkähne im Schlamm stecken. Hansen war vor den amerikanischen Senat geladen worden. Und dank seiner Rede kam der Klimawandel erstmals auf die politische Agenda seines Landes.
Während nämlich noch viele Experten davon überzeugt waren, die Erde sei auf dem Weg in eine neue Eiszeit, überraschte der damals 40-jährige Forscher damit, dass er das exakte Gegenteil behauptete. Hansen hatte ein Klimamodell entwickelt, das „Model Zero“, mit dem er voraussagen konnte, dass die Temperatur auf der Erde ansteigen wird. Deshalb wird Hansen auch „Vater des Klimawandels“ genannt, oder eher dessen „Großvater“. „Ich habe die Dynamik der globalen Erwärmung damals weit unterschätzt“, sagt Hansen heute. „Wie es aussieht, verhindert die Erwärmung nicht nur die Abkühlung unseres Planeten, sondern sorgt für den schnellsten Temperaturanstieg in der Geschichte der Menschheit.“
Grünliche Augen, lichtes braunes Haar. In seiner abgetragenen Windjacke sieht der 68 Jahre alte Klimatologe eher einem Farmer ähnlich als einem rebellischen Forscher. Hansen wuchs als fünftes von sieben Kindern einer Bauernfamilie in einer verschlafenen Kleinstadt in Iowa auf. Mit 18 Jahren gewann er ein Stipendium, um an der Universität von Iowa Astronomie, Physik und Mathematik zu studieren. „Die Miete war nicht drin, sodass ich mir für 25 Dollar im Monat ein Zimmer mieten musste und mich hauptsächlich von Cornflakes ernährte“, erzählt Hansen. „Für mehr reichte es nicht“. Nachdem er seine Doktorarbeit über die Atmosphäre der Venus geschrieben hatte, wechselte er 1972 zur NASA. Dort fing er bald an, sich mit Treibhausgasen zu befassen und entwarf Computermodelle zur Klima-Simulation.
Die Klimaforschung wurde zu seiner Berufung. Seit 1981 leitet er das bei der NASA angesiedelte Goddard Institute for Space Studies (GISS) in New York. Und bei seinem durchschlagenden Auftritt von 1988 hatte Hansen Blut geleckt. Er spürte, dass man als Wissenschaftler über die Medien die Politik aktiv beeinflussen kann. „Solange wir es zulassen, dass Politiker und ihre Unterstützer die Regeln festlegen, wird sich nichts verändern“, sagt Hansen grimmig. „Wir werden geröstet, wir werden zu Toast, wenn wir nicht sofort einen ganz anderen Weg in Sachen Klimaschutz einschlagen. Deshalb sind wir es, die die Regeln ändern müssen.“
Hansen polarisiert gerne. Seine kommunikativen Fähigkeiten beschreibt er selbst als „armselig“ und „nicht sehr taktvoll“. Dennoch: Im Ton ist er immer sanft. Seine ruhige Art macht seine Vorträge überzeugend, der weiche Tonfall des mittleren Westens wirkt sympathisch. Ralph Cicerone, der Präsident der National Academy of Sciences in den USA, beschreibt James Hansen als „eher schüchternen Typ, der das Rampenlicht der Öffentlichkeit scheut“. In der Sache aber ist er unerbittlich und scharf. „Er ist ein hervorragender Wissenschaftler mit weltweitem Renommee. Seine in der Öffentlichkeit gemachten Aussagen hat er jedoch immer als persönliche Meinung bezeichnet. Das zeugt von Loyalität.“
Mit seinen radikalen Forderungen geriet er schnell in Konflikt mit der Politik, vor allem mit den zwei US-Präsidenten der Bush-Dynastie. Er warf ihnen vor, zwei lahme Enten im Kampf gegen den Klimawandel zu sein und wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren. Während es zu Zeiten von Bush Senior Ende der 80er Jahre noch zu relativ harmlosen Auseinandersetzungen zwischen dem Klima-Rebell Hansen und dem Haushaltsausschuss kam, dem er vorwarf, seine vor dem Kongress gemachten Aussagen zum Klimaschutz zu verwässern, eskalierte die Auseinandersetzung unter Bush Junior.
Hansen wies im Jahr 2004 während einer Lesung an der Universität von Iowa im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen darauf hin, dass unter der Bush-Administration Klimawissenschaftler wie er selbst mundtot gemacht würden und kündigte an, den Demokraten seine Stimme beim Kampf ums Weiße Haus geben zu wollen. Die Reaktion folgte prompt: Das Weiße Haus verfügte, dass die NASA alle Texte und Presseerklärungen ihrer Wissenschaftler vor ihrer Veröffentlichung durch politische Mitarbeiter gegenlesen lassen mussten. Auch Interviewtermine der Forscher wurden überwacht und zeitlich begrenzt. Entsprechende Anweisungen wurden laut Hansen nicht wie sonst üblich auf offiziellem Wege sondern per Telefon übermittelt, um keine Spuren zu hinterlassen.
Doch Hansen ist ein streitbarer Geist und ließ sich davon nicht beeindrucken. In seinen öffentlichen Reden prangerte er weiterhin die aus seiner Sicht ineffiziente Klimapolitik der US-Regierung an, die in ein ökologisches Desaster führen würde, und forderte eine Führungsrolle der USA in Sachen Klimaschutz. Ende 2005 erhielt Hansen daraufhin einige Anrufe von NASA-Offiziellen, die ihm „schlimme Konsequenzen“ androhten, wenn er nicht aufhören würde, derartige Behauptungen aufzustellen. Interviewanfragen an ihn wurden zukünftig von einem Pressesprecher der NASA übernommen oder gleich ganz abgesagt.
Das ging Hansen zu weit. Er beschwerte sich öffentlich in einem Interview mit der New York Times über den politischen Maulkorb, der ihm von der Bush-Regierung verpasst worden war. Die globalisierte Welt der Wissenschaft reagierte empört. „Eine solche Behandlung habe ich in den mehr als 30 Jahren, die ich für die NASA forsche, noch nicht erlebt“, sagte Hansen damals. „Die Politik sieht sich als Zensor, der die Öffentlichkeit vor unbequemen Wahrheiten schützen muss. In Wirklichkeit geht es um Desinformation. Denn wenn die Menschen die Bedrohung begreifen würden, die vom Klimawandel ausgeht, müsste sich auch die Politik ändern und auf die Sorgen und Ängste der Bürger und Bürgerinnen eingehen.“
Jahrzehntelang hatte Hansen in der Hoffnung geforscht, die amerikanische Regierung würde seine Warnungen ernst nehmen. Nun war seine Geduld am Ende. „Er wurde zum Klimaaktivisten“, erklärt seine Frau, „nicht weil er denkt, dass er diese Rolle beherrscht, sondern weil es notwendig ist.“ Er lehnt es ab, sich als Wissenschaftler hinter objektiven Aussagen zu verstecken, um politisch keine Stellung beziehen zu müssen.
Daher ist er mit dabei, wenn Tausende vor dem Weißen Haus gegen die Energiepolitik der Regierung demonstrieren; oder er reist nach Großbritannien, um sich vor Gericht für Klimaaktivisten einzusetzen, die festgenommen wurden, weil sie den Schornstein eines Kohlekraftwerks mit einem Klima-Slogan besprüht hatten. „Ich bin zwar noch nicht so weit, dass ich mich selbst anketten würde. Aber ich kann nicht einerseits junge Leute mit den Ergebnissen meiner wissenschaftlichen Arbeiten motivieren, auf die Straße zu gehen und sich politisch zu äußern, und mich dann nicht an den Protesten beteiligen“, sagt Hansen.
Er fordert die Verurteilung von Managern globaler Konzerne, wegen „schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Natur“; oder er vergleicht Kohle transportierende Güterzüge mit den Todestransporten nach Auschwitz, wofür er sich allerdings im Nachhinein entschuldigt hat. „Wir müssen verhindern, dass neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Und die, die ihre eigenen CO2-Emissionen nicht einfangen, sollten in den USA bis 2025 und weltweit bis 2030 außer Betrieb genommen werden“, fordert der Klimawissenschaftler.
Gegen viele politische Widerstände musste er sich schon durchsetzen, und er ist noch lange nicht am Ende. „Ich werde so lange nicht aufgeben und weiter forschen, bis die Beweislast so erdrückend ist, dass die Politiker etwas unternehmen müssen.“ Letztes Jahr hat Hansen einen Brief an Angela Merkel geschrieben, weil er dachte, eine Physikerin müsse doch verstehen, wo die geophysikalischen Grenzen des Planeten wirklich liegen. Auch an den britischen und den japanischen Premierminister sowie an Barack Obama hat er sich gewendet. Geantwortet hat bisher noch keiner.
James E. Hansen, am 29. März 1941 in Denison, USA geboren, studierte Astronomie, Physik und Mathematik. Als Teilnehmer am Graduiertentraining der NASA wechselte er 1972 zum Goddard Institute for Space Studies, dessen Direktor er seit 1981 ist. 1985 wurde er zudem Professor für Erd- und Umweltwissenschaften an der Columbia University in New York City. 2001 gewann er den renommierten und hoch dotierten Heinz Umweltpreis und 2007 den Dan-David-Preis. Hansen ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in New York City.
Daniel Seemann
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