Ein Interview mit Hans-Joachim Schellnhuber, dem Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Professor Schellnhuber, glauben Sie an ein ökologisches Wirtschaftswunder?
Ich glaube nicht an ein ökologisches Wirtschaftswunder, das von allein kommt. Aber ich bin überzeugt davon, dass wenn Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit aller Kraft und Kreativität nach den besten Lösungen suchen, Wirtschaftswachstum und ein verantwortlicher Umgang mit den natürlichen Ressourcen miteinander vereinbar sind. Das ist entgegen der gängigen Auffassung mittlerweile auch Schwellenländern wie China sehr bewusst.
Denken Sie, eine Klima-Partei mit radikalen Thesen zum Thema Klimawandel hätte Erfolg in Deutschland?
Eine radikale Lösung der anstehenden Probleme durch den Klimawandel wäre in diesem Land nur schwer durchsetzbar. Niemand kann eine Öko-Diktatur wollen. Dennoch stehen wir jetzt vor einer Situation, wo schnell und grundlegend gehandelt werden muss, damit es rein physikalisch noch gelingen kann, unter der kritischen Zwei-Grad-Linie zu bleiben, aber auch damit die Kosten für eine kohlenstoffarme Entwicklung im handhabbaren Rahmen bleiben. Viel wichtiger wäre es daher, dass die Bundesregierung sich dem Thema noch konsequenter widmet als bisher. Der Klimawandel muss allgemeiner thematisiert und zum Herzstück der künftigen Regierungspolitik werden.
Was meinen Sie genau damit?
Es ist eben fraglich, ob man in dem Wissen, dass man mit der Titanic auf einen Eisberg namens Klimawandel zusteuert, erst einmal langwierige Umfragekampagnen unter den Passagieren starten sollte. In so einer Situation müssen Lotsen direkt auf die Kommandobrücke gerufen werden, um den Kapitän zu beraten, selbst wenn auch sie nicht zu 100 Prozent wissen, wo genau der Eisberg liegt.
Sind Sie solch ein Lotse?
Natürlich gibt es Situationen, in denen der Wissenschaft eine Rolle ähnlich der eines Lotsen zukommt. Wir kennen eben mitunter das Gewässer, auf dem wir uns befinden, ein wenig besser als der normale Passagier und der Schiffsführer. Wenn wir auf etwas aufmerksam werden, das uns bedrohlich erscheint, dann ist es selbstverständlich unsere Pflicht, dies in geeigneter Form an die Kommandobrücke weiterzuleiten.
Auf der Kommandobrücke steht dann sicherlich Frau Merkel. Sie kennen die Bundeskanzlerin, seit Sie beide 1992 zusammen in Kyoto bei der weltweiten Klimaschutzkonferenz waren. Sie hat – wie Sie auch – in Physik promoviert. Warum macht Frau Merkel dann in Sachen Klimaschutz nicht das, was sie weiß, sondern das, was sie muss?
Angela Merkel könnte bei ihren Positionen zum Thema Klimaschutz beinahe eine Grüne sein. Dass sie als Bundeskanzlerin und als CDU-Parteivorsitzende gewissen Zwängen ausgesetzt ist, ist doch durchaus nachvollziehbar. Aber sie hat als bislang einzige Politikerin der westlichen Welt ein „gleiches Emissionsrecht für alle“ gefordert.
Was halten Sie vom geplanten Desertec-Projekt und dem Vorhaben, Europa durch Sonnenergie aus riesigen Photovoltaik-Anlagen in der Nordsahara zu versorgen?
Hier regiert der gesunde Menschenverstand. Es handelt sich um eine technologische Vision, eine Art Apollo-Projekt von ähnlicher Dimension wie der Bau des Suez-Kanals im 19. Jahrhundert. Nur da die Sonnenenergie über Tausende von Kilometern nach Europa transportiert werden muss, ist die Errichtung eines sogenannten „super smart grid“ in Europa notwendig. Ein intelligentes Stromnetz, das sowohl die lokalen Stromerzeuger, etwa Solardächer auf Eigenheimen, die regionalen wie beispielsweise Windkraftparks in der Nordsee als auch den durch das Desertec-Projekt erzeugten Sonnenstrom integriert.
Ist die Förderung erneuerbarer Energien Ihrer Meinung nach der Schlüssel sowohl zur langfristigen Abdeckung unseres Energiebedarfs als auch zur Lösung unserer wirtschaftlichen Probleme?
Ein exponentielles Wachstum in einer begrenzten Welt ist einfach nicht möglich. Und ich denke, dass ein weltweites Wirtschaftswachstum langfristig nur möglich sein wird, wenn wir auf den Sektor der erneuerbaren Energien setzen und entsprechende industrielle Strukturen fördern, um unser Energieproblem zu lösen. Wie wollen wir weiter wachsen, wenn wir wissen, dass die fossilen Brennstoffe, auf denen unser Weltwirtschaftssystem derzeit noch beruht, zu Ende gehen?
Was wäre denn hier zu tun?
In der öffentlichen Debatte fehlt mir eine ehrliche Diskussion über die sehr realen Risiken, die zum Beispiel von Gas- und Erdölpipelines ausgehen. Über ihre Verwundbarkeit durch Terroranschläge und die Gefahr katastrophaler Umweltverschmutzungen wird vergleichsweise wenig diskutiert. Aktuell werden Milliarden in den Bau und den Unterhalt solcher Leitungen investiert, im Wissen, dass wir uns so für viele weitere Jahrzehnte von klimaschädlichen fossilen Energieträgern abhängig machen.
Eins Ihrer großen Vorbilder ist der Philosoph Immanuel Kant. Brauchen wir einen Kantschen Imperativ für den Klimaschutz?
Ja durchaus, der könnte ungefähr so lauten: Jedes Land sollte nach besten Kräften CO2-Emissionen vermeiden in der festen Annahme, dass alle anderen es auch so tun. Denn ohne dieses Vertrauen wären wir wieder in derselben Situation wie beim Rüstungswettlauf des Kalten Krieges, nur dass wir uns heute mit der Kohlenstoff- anstatt mit der Atombombe gegenseitig bedrohen. Auch der Rüstungswettlauf hätte mehrmals schiefgehen können. Dass wir heute hier überhaupt sitzen, ist mehr einem historischen Zufall geschuldet. Vernunft und Vertrauen sind, wenn Sie so wollen, die einzigen menschlichen Stärken, die uns noch vor dem Klimawandel retten können. Denn der Mensch ist einerseits intelligent genug, um seine eigene Umwelt zu zerstören. Andererseits dürfte er aber auch vernünftig genug sein, um diesen Pfad noch rechtzeitig wieder zu verlassen.
Professor Schellnhuber, vielen Dank für das Gespräch.
Hans Joachim Schellnhuber, 1950 in Ortenburg, Bayern geboren, studierte Mathematik und Physik, habilitierte sich an der Uni Oldenburg und wurde Professor am Institut für Chemie und Biologie des Meeres in Wilhelmshaven. Er ist Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und seit 1993 zudem Professor für Theoretische Physik an der Uni Potsdam. Er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung und erhielt den Deutschen Umweltpreis. Er ist verheiratet, hat einen einjährigen Sohn und lebt in der Nähe von Potsdam.
Daniel Seemann
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