Man stelle sich eine Welt vor, in der Boston mit Washington D.C. durch einen futuristischen Super-Highway verbunden wäre, auf dem es keine Ampeln und keine Staus gibt und trotzdem alles reibungslos und friedvoll von statten geht. Eine fixe Idee? Keineswegs, wie die Gewinner des Audi Urban Future Awards 2012 zeigen, einem der höchstdotierten deutschen Architekturpreise. Die Architekten Höweler + Yoon präsentierten ein völlig neues Mobilitätskonzept, basierend auf dem Prinzip des Sharings, also des Teilens: den BosWash Shareway.
Teilen statt Besitzen, so lautet das Motto der ambitionierten Visionäre. Der neue amerikanische Traum definiert bekannte Mobilitätsformen neu. Was den Erfindern des Shareway vorschwebt ist eine allumfassende Mobilitätsplattform, die individuelle und öffentliche Transportmittel zu einem „Superpaket“ schnürt, um intelligentere Verkehrs- und Netzwerkströme zu ermöglichen, ein holistisch überwachtes Verkehrssystem. Der Verkehr wird nach Vorstellungen von Höweler + Yoon künftig wie Datenströme im Internet fließen, bis vor die eigene Haustür, ohne Ampeln, Straßenkreuzungen, Staus und Verkehrswege für unterschiedliche Fahrzeuge.
Ubiquitäres Computing, soziale Netzwerke – ein tiefgreifender Wandel schaffe eine neue Form von Subjektivität, permanente und simultane Vernetzung innerhalb wechselnder Bezugsgruppen, die auf Interessen und Bedürfnissen beruhen. Damit ändern sich auch bestehende Wertesysteme und Statussymbole. Der Fokus verschiebe sich von Besitz zu Zugang. Während Erfolg einst bedeutete, mehrere Autos und Immobilien zu besitzen, so bemesse sich Erfolg heute daran, Zugang zu bestimmten Dingen zu haben, behaupten die Architekten Höweler und Yoon.
Diesen sich wandelnden Ansprüchen und dem immer stärkeren Zusammenwachsen der Städte und dem steigenden Verkehrsaufkommen wollen sie mit ihrem Shareway-Konzept begegnen. Das Non-plus-Ultra des Shareways ist das Bundling, die Bündelung bestehender Verkehrswege, um den Wechsel zwischen Flugzeug, Bahn und Auto zu erleichtern. Das Bundle zieht sich als Hauptschlagader im Wettbewerbsentwurf von Boston nach Wachsignton D.C. und verbindet dabei Städte und Vororte miteinander. Auf Stelzen über dem Highway verläuft eine S-Bahn, an den Haltestellen gibt es Carsharing-Stationen, um die letzten Meilen nach Hause zurückzulegen.
In Newark ist eine neue „Hauptstadt der Mobilität“ geplant: ein Superflughafen kombiniert mit einem Hafen und einem Bahnhof. Die Straßensysteme werden dadurch entlastet. Stattdessen könnten diese eine Art Multifunktionalität einnehmen: Ausgestattet mit einem sogenannten Tripanel anstelle von Asphalt, kann die Oberfläche der jeweiligen Tageszeit und gewünschten Nutzung angepasst werden: von der Autobahn über den Radweg, der Grünfläche bis hin zum Energiepark mit Solarkollektoren.
Sharing und anpassunsgfähiger, flexibler Nutzungswandel werden die Stadt der Zukunft bestimmten. Nicht nur im Mobilitätsbereich werde Sharing die tragende Komponente, auch Wohnungen und Gärten sollten zur Shareware werden. Auf urbanen Brachen könnten Obst und Gemüse für die Nahversorgung angebaut werden. In Zukunft werde niemand mehr ein eigenes Haus oder Auto besitzen.“Wir wollen keinen Besitz haben, wir wollen die Wahl haben. Das ist der Kern amerikanischer Kultur“, sagt Eric Höweler. Nähe sei eine Funktion aus Zeit und Ort, sagt Höweler, und: Geographie werde durch Geschwindigkeit negiert, Entfernung durch Erfolg nivelliert.
Manch einen mag das an überholte osteuropäische Gesellschaftskonzepte erinnern, an einen Alptraum aus „Fahrenheit 451“. Die Frage ist am Ende, brauchen wir eine solche schöne neue Welt überhaupt? Wo bleibt die Individualität dabei, wo Kreativität und Gestaltungsfreiheit, ebenso wie der Wunsch nach Geborgenheit und einem persönlichen Rückzugsort? Bleibt womöglich zwischen all diesen Strömen, Netzen, Optimierungen, Bündelungen etwas Menschliches und Individuelles auf der Strecke?
Josephin Lehnert
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