„Wenn die ganze Welt auch nur die Hälfte der Ressourcen verbrauchen würde wie die USA, wären Kupfer, Zinn, Silber, Chrom, Zink und eine Reihe anderer ‚strategischer Mineralien‘ innerhalb von weniger als vierzig Jahren erschöpft. Würden alle anderen ebenso viel verbrauchen wie die USA heute, wäre das in weniger als zwanzig Jahren der Fall.“
Von dieser Annahme geht der Leiter der Wirtschaftlichen Führungsgruppe der Kommission für Nachhaltige Entwicklung (Großbritannien), Tim Jackson, in seinem Buch „Wohlstand ohne Wachstum – Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt“ aus. Dabei konzentriert er sich auf die Frage, wie Wohlstand in einer Welt mit begrenzten Ressourcen und einem derart starken Bevölkerungswachstum, wie wir es derzeit verzeichnen, aussehen kann.
Einen Schwerpunkt bei seinem Versuch, ein Konzept zu entwickeln, das Wachstum und ökologische Grenzen vereint, legt Jackson auf die Begrenzung des Konsumismus. Dieser bezeichnet das übersteigerte Konsumverhalten in kapitalistischen Gesellschaften. Allerdings räumt der Autor selbst ein, dass der Grund, warum Konsumgüter in unserer Gesellschaft so viel Wert beigemessen wird, darin liegt, „dass wir dazu neigen, materielle Dinge mit gesellschaftlicher und psychologischer Bedeutung aufzuladen“. Was er auch direkt als „eine verheerende Erkenntnis“ tituliert, die durch zahlreiche Belege aus der Konsumforschung und der Anthropologie gestützt wird.
Ein Wertewandel „der es den Menschen ermöglicht, ein gutes Leben zu führen, mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft zu schaffen, mehr Wohlbefinden zu erfahren und trotzdem die materielle Umweltbelastungen zu reduzieren“ (Jackson) wäre sicherlich wünschenswert. Und auch dem Glück eines Menschen würde eine Verlagerung der Werte weg von materiellen hin auf immaterielle Dinge – wie die Integration in Familie und Gesellschaft, Muße oder Spiritualität – mit Sicherheit keinen Abbruch tun. Im Gegenteil: Zeigen uns doch verschiedene wissenschaftliche Erkenntnisse, dass ab einem bestimmten Grad an materiellem Wohlstand das Glücksgefühl nicht mehr in Zusammenhang mit einem steigenden Einkommen zunimmt.
Doch aus unserer Erfahrung wissen wir, dass sich Konsum und Wirtschaftswachstum (das beispielsweise technischen Fortschritt anregt) gegenseitig verstärken. Wodurch der Vorschlag, ein Wertwandel könne den überhand nehmenden Konsum begrenzen, eher in die Kategorie „romantische Vorstellung“ statt „realistischer Lösungsansatz“ fällt.
Kontroverse: Aussagekraft des Bruttoinlandsprodukts
Tim Jackson scheint sich dessen jedoch wohl bewusst und wartet mit einer ganzen Reihe vernünftiger Handlungsempfehlungen für Politiker auf, „die sich um konkrete Schritte in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaft bemühen“. So schlägt er unter anderem eine Steuerreform vor, die nicht-nachhaltige Produkte besteuert und dadurch nachhaltige Produkte begünstigt, plädiert für Obergrenzen für den Ressourcenverbrauch und Emissionsausstoß und fordert Investitionen in Vermögenswerte und Infrastruktur (energetische Sanierungen, erneuerbare Energien, Smart Grid, ÖPNV, Naturschutz), eine Regulierung der Arbeitszeiten für mehr Gerechtigkeit sowie eine Revision der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die sich am Bruttoinlandsprodukt (BIP) orientiert. Das BIP könne nämlich, so Jackson, einige Dinge nicht berücksichtigen, wie zum Beispiel: Veränderungen im Vermögensbestand; reale Wohlfahrtsverluste, die sich aus der ungleichen Verteilung von Einkommen ergeben; die Erschöpfung materieller Ressourcen; die externen Kosten von Umweltverschmutzung und langfristiger Schädigung der Umwelt.
Auch der promovierte Betriebswirtschaftler Michael Kaiser räumt in seinem Buch „Die Westerwelle“ ein, dass das BIP alleine noch keine unmittelbare Aussage zu individuellem Wohlstand und individueller sozialer Versorgung der Menschen einer Volkswirtschaft sei. „Das gilt erst recht für schwer oder gar nicht monetär bewertbarer Faktoren wie Lebensqualität, sozialer Frieden, Rechtssicherheit, Luftqualität, Zustand der Erholungsgebiete und Umgang mit den natürlichen Ressourcen“, schreibt Kaiser. Dennoch ist er der Überzeugung: „Es gibt nur einen begründeten Verdacht, dass es hier eine positive Korrelation zu einem steigenden BIP gibt, auch empirisch gestützt, bei einem Vergleich der Lebens- und Umweltbedingungen ganz allgemein zwischen entwickelten und sich noch entwickelnden Volkswirtschaften.“ Daher kommt der Autor letztendlich zu dem Schluss, dass, wenn wir auf Perfektionismus verzichten und uns einig sind, „dass die empirische Erkenntnis, dass in Ländern mit hohem Bruttoinlandsprodukt in der Regel auch die Verteilung des Erwirtschafteten, die Behandlung der natürlichen Ressourcen, Demokratie und Rechtssicherheit, also Lebensqualität ganz allgemein entwickelter und breiter gestreut sind, nicht einer gewissen inneren Logik entbehrt“, wir ein recht ordentliches Instrument zur Bewertung einer Volkswirtschaft haben.
Nicht mehr sondern besser
Des Weiteren ist Kaiser der Ansicht, dass die Kritik am Wirtschaftswachstum auf einem weit verbreiteten Missverständnis beruhe, „bei welchem sich das Wachstum einer Volkswirtschaft wie das Wachstum eines großen Tieres vorgestellt wird, das dabei immer mehr Raum, Ressourcen und andere Lebewesen verschlingt, und natürlich ist es richtig, dass bei diesem Bild eine Wachstumsgrenze – spätestens die objektive Größe des Planeten und seine Aufnahmekapazität – und ein Wachstumskollaps – etwa der Verbraucher der gesamten verfügbaren Atemluft irgendwann vorprogrammiert sind.“
Das Bild sei jedoch falsch, so Kaiser. Die Volkswirtschaft als solche wachse nicht, da die Leute für gewöhnlich nicht plötzlich das Doppelte essen und trinken, nicht auf einmal zwei Häuser gleichzeitig bewohnen und auch nicht zeitgleich Zug und Auto fahren würden. Stattdessen ginge mit einem Wirtschaftswachstum ein Wachstum an Wohlstand einher, also „das Wachstum an Effizienz der Herstellung und an Nutzen des hergestellten Gutes“. Ab einem gewissen Punkt entstehe weiterer Reichtum nur durch Veredelung und Verfeinerung der hergestellten Güter, was bedeute, dass veraltete Güter durch neue Güter ersetzt würden. „Es wachsen also nicht die Bedürfnisse, sondern die Art ihrer Befriedigung verbessert sich“, lautet das Urteil des Betriebswirtschaftlers.
Bleibt fraglich, ob Kaiser in seine Überlegungen auch das exponentielle Bevölkerungswachstum beziehungsweise den Progress der Schwellen- und Entwicklungsländer einbezogen hat…
Corinna Lang
„Wohlstand ohne Wachstum“ von Tim Jackson gilt als das Grundlagenwerks der Postwachstumsökonomie. Das Buch erschien 2011 im oekom verlag und ist für 19,95 Euro im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Heinrich-Böll-Stiftung.
Michael Kaisers Buch „Die Westerwelle“, das auf unterhaltsame Art und Weise den Laien über wirtschaftspolitische Zusammenhänge informiert, erschien ebenfalls 2011 und kann für 14,95 Euro über den Re Di Roma-Verlag bezogen werden.
Corinna Lang
Wachstum geht immer einher mit Verbrauch von Ressourcen – veredelte Produkte hin oder her. Die Frage lautet nicht: Brauchen wir mehr Wachstum? Die Frage sollte lauten: Wollen wir auf diesem Planeten als Spezies erhalten bleiben oder rennen wir nun umso schneller in den Abgrund, weil ein Umdenken angeblich nicht möglich ist? Wenn wir nicht freiwillig etwas tun, werden wir halt gezwungen. Es ist eine Illusion zu glauben, es liefe einfach so weiter wie bisher. Die guten alten Zeiten sind vorbei. The Party is over