Bundeskanzlerin Angela Merkel kann sich offenbar nicht entscheiden: Will sie eine Klimakanzlerin sein und beim anstehenden G7-Gipfel im Schloss Elmau die Welt davon überzeugen, das fossile Zeitalter hinter sich zu lassen? Oder will sie eine Kohlekanzlerin sein, die nichts mehr wissen will von den Plänen von Vizekanzler Gabriel zur Einführung einer Strafabgabe auf alte Kohlekraftwerke, und die der Kohlewirtschaft weiter den Rücken deckt?
Klar ist, sie wird Position beziehen müssen und das schon bald. Denn andernfalls droht das so sorgsam gepflegte Image Deutschlands in Sachen Klimaschutz und die Vorbildfunktion, die gerade Merkel im Zuge dessen immer wieder betont, daran zu scheitern, dass Deutschland seine eigenen Klimaschutzziele meilenweit verfehlt – und das wäre eine große Blamage, gerade für die Kanzlerin.
Es wird langsam eng für den „deutschen Weg“ in Sachen Energiewende und Klimaschutz. Nicht nur, was den Anteil der Erneuerbaren Energien am Strommix angeht. Ein Bereich, bei dem die Bundesregierung immer wieder betont hatte, wie wichtig es sei, mit einer gewissen Vorbildfunktion voranzugehen. Dort liegt die Bundesrepublik mittlerweile jedoch sogar unter dem EU-Schnitt. Während hierzulande zur Zeit etwa 12 Prozent des Stroms mit Erneuerbaren erzeugt wird, sind es in Österreich bereits knapp 33 Prozent. Oder gar 52 Prozent in Schweden, dem momentanen Spitzenreiter im EU-Vergleich. Der EU-Durchschnitt liegt derzeit bei 15 Prozent. International haben einige Länder, wie Costa Rica, sogar bereits das erreicht, wovon unsere Regierung auf absehbare Zeit nur träumen kann. Eine hundertprozentige Versorgung mit regenerativen Energien.
Gut, so weit sind wir noch nicht. Doch zumindest, was die Verringerungen der CO2-Emissionen angeht, will die Bundesregierung ganz vorne mitspielen. Das Ziel ist es, als erste Industrienation überhaupt, 40 Prozent CO2 bis 2020 einzusparen – verglichen mit dem internationalen Referenzjahr 1990. Der große Wunsch dahinter: Dieses Ziel erreichen, und damit auch anderen Ländern zeigen, wie Klimaschutz und das deutsche Energiewende-Modell aussehen. Vorbild sein – diese Redewendung hörte man häufig in letzter Zeit. Kanzlerin Merkel wünscht sich für andere Nationen den „deutschen Weg“ zu mehr Klimaschutz. Das große internationale Ziel müsse sein, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 um mindestens 60 Prozent gegenüber 2010 zu verringern und die globale Erwärmung so auf maximal zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. „Mit vereinten Kräften ist das zu schaffen“, sagte Merkel vor zwei Wochen beim Petersberger Klimadialog vor den versammelten Umweltministern aus aller Welt. Sie wünsche sich eine globale Dekarbonisierung noch in diesem Jahrhundert – also den Umstieg auf völlig kohlenstofffreies Wirtschaften.
Die deutsche Bundeskanzlerin eine Klimakanzlerin? Eine völlige Dekarbonisierung und ein baldiger Kohleausstieg? Für Bundeswirtschaftsminister Gabriels geplante Zwangsabgabe auf alte Kohlekraftwerke müsste das eigentlich die lange vermisste Rückendeckung sein – doch offenbar weit gefehlt. Seit Wochen wird gestritten, der Kohleausstieg und vor allem die Abgabe entzweit Deutschland. Gabriels Plan: Durch die Strafabgabe sollen die CO2-Emissionen im Kraftwerksbereich bis 2020 um 22 Millionen Tonnen reduziert werden – für viele Klimaschützer eine gute und vielversprechende Maßnahme, und ein Hoffnungsschimmer, wenn es darum geht, das deutsche Emissionsziel 2020 doch noch zu erreichen. Denn das gilt, ohne zusätzliche Maßnahmen, wie beispielsweise eine deutliche Reduktion der Kohleverstromung, als stark gefährdet. Für die Gegner der Abgabe ist Gabriels Vorhaben jedoch vor allem eins: Eine Gefährdung der deutschen Wirtschaft und tausender Arbeitsplätze. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und das Umweltbundesamt (UBA) kommen zwar unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass, im Falle eines Inkrafttretens der Abgabe, keineswegs 100.000 Arbeitsplätze verloren gingen, wie von Ver.di Chef Frank Birske unlängst prognostiziert, allerdings scheint darauf niemand wirklich hören zu wollen.
Und so hagelte es weiter massiv Kritik an Gabriels Plan. So massiv, dass Gabriel zuletzt selber einlenkte und bekannt gab, sein ursprüngliches Konzept abzumildern. Nun sollen nur noch rund 16 Millionen Tonnen CO2 mithilfe der Abgabe eingespart werden. Für die CDU allerdings noch immer nicht akzeptabel, einige Politiker sprechen gar von einem Bruch des Koalitionsvertrags, sollte die Abgabe durchgesetzt werden. Und auch Kanzlerin Merkel, die sich international ja eigentlich eine völlige Dekarbonisierung wünscht, scheint vor der eigenen Haustür nicht kehren zu wollen. Während sie sich vor zwei Wochen noch optimistisch gab und mitteilte, es werde mit Sicherheit eine gemeinsame Lösung gefunden, denn „das Instrument der Abgabe sei eine Möglichkeit zur glaubwürdigen Erfüllung des 40-Prozent-Ziels“, ruderte sie nun zurück: Gabriel spreche mit allen Beteiligten über sein Konzept und prüfe Alternativen. Sie selbst begrüße das, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ Merkel. Das deutsche Klimaziel müsse erreicht werden, „ohne, dass in bestimmten Regionen ein massiver Verlust an Arbeitsplätzen eintritt“.
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