Warum sich die Mühle lohnt…
Es stimmt schon: es ist deutlich einfacher, bequemer und sauberer, abgepacktes Saatgut und kleine Jungpflanzen zu kaufen. Aber die Mühe lohnt sich… allein schon die vielen verschiedenen Formen und Farben der Samen bereiten große Freude. Man bekommt das gute Gefühl, wieder zu einem Stück mehr Unabhängigkeit gekommen zu sein. Man spart Geld. Und spürt die Fülle der Natur. Am Ende hat man meist viel mehr Nachwuchs, als man selbst braucht, und den man dann gerne teilt.
Alte, lokale Sorten sind inzwischen überwiegend vom Markt und aus der Erinnerung der jüngeren Generationen verschwunden. Das ist furchtbar schade! Denn diese Sorten sind in aller Regel robust, pflegeleicht und an die Bedingungen des jeweiligen Standorts bereits genial angepasst. Es braucht Menschen, die diese Sorten aktiv erhalten!
Selber zu züchten ist zudem gar nicht so schwer. Es braucht nur Zeit und ein wenig Grundlagenwissen. Wer selbst vermehrt, kann seine eigene Sorte optimieren bezüglich Größe, Geschmack, Robustheit, Erntezeitraum, Farbe, Angepasstheit an lokale Bedingungen, Ertrag, Ertragsicherheit und mehr.
Gründe genug gibt es, um es zu versuchen!
Wie geht man es also an?
Samen oder Ableger?
Es gibt zwei Wege, Pflanzen zu vermehren: über Samen (generative Vermehrung) und über Ableger aus Pflanzenteilen (vegetative Vermehrung).
Vermehrung über Ableger
Bei manchen Pflanzen ist die Vermehrung über Ableger einfacher als über Samen, zum Beispiel weil die Samen erst spät im Jahr ausreifen würden (wie bei Topinambur). Andere Pflanzen (wie Knollenziest) bilden erst gar keine Samen aus.
Zum Teil werden die Pflanzen vegetativ über Knollen vermehrt (wie Kartoffel, Knoblauch, Topinambur, Erdmandel, Knollenziest), die einfach wieder eingepflanzt werden. Kartoffeln und Topinambur können dabei auch „geäugelt“ werden – bei dieser Technik wird eine Knolle an ihren Knospen nochmal in weitere Stücke aufgeteilt, aus denen dann jeweils eine neue Pflanze wächst.
Bei anderen (wie Schnittlauch, Sauerampfer, viele Stauden) wird der Pflanzstock aufgeteilt und die einzelnen Teile an anderer Stelle wieder eingepflanzt.
Wieder andere (wie Meerrettich, Beinwell) werden über Wurzelschnittlinge vermehrt. Dabei wird einfach die Wurzel in mehrere Teile geschnitten und verpflanzt. Oft reichen sogar schon kleine Stücke.
Pflanzen, die ein Rhizom ausbilden (wie Spargel, Ingwer, Kurkuma), können durch Rhizomteilung leicht vegetativ vermehrt werden. Das Rhizom (die „Wurzel“ der Pflanze) wird in mehrere kurze Stücke geteilt, aus deren Knospen wieder ganze Pflanzen wachsen können.

Bei den Pflanzen, die selbst Ausläufer bilden (wie Minzen, Erdbeeren und Himbeeren) muss man hingegen selbst kaum etwas tun. Eventuell hilft man nach, in dem man einen Ausläufer mit ausreichend Erde bedeckt. Die Ausläufer kann man an ihrem Platz belassen oder, wenn sie kräftig genug sind, umpflanzen.
Vermehrung über Samen
Um Pflanzen über Samen zu vermehren, müssen die Pflanzen so lange im Boden bleiben, bis die Samen fertig abgereift sind. An den Pflanzen außen hängende, trockene, lockere Samen kann man dann absammeln oder auffangen.
Es gibt auch Pflanzen, die sich recht zuverlässig selbst aussäen (wie Portulak, Feldsalat) – natürlicher geht’s ja gar nicht! Diese Pflanzen sollte man dann einfach bis über die Blüte und das Aussamen hinweg auf dem Beet oder im Garten belassen.
Die Samen von Zucchini, Tomate, Kürbis etc. findet man in der Frucht. Sie sind zum Schutz vor Magensäure (wenn die Früchte gegessen und verdaut werden) mit einer Glibberschicht umgeben. Auch hier ist es wichtig, dass die Früchte gut abreifen (länger als man sie zum Essen reifen lassen würde), damit die Samen auch wirklich fruchtbar sind.
Die einfachste Methode, um diese Samen zu sammeln, ist, sie auf trockenem Papier auszubreiten, dort trocknen zu lassen und mit dem Papier zu lagern. Zum Auspflanzen kann man dann das Papier auseinander reißen und in die Erde drücken. Oder man verteilt die Samen bereits in entsprechendem Abstand und kann das Papier später direkt so einpflanzen.
Eine weitere Möglichkeit ist, den Glibber dieser Pflanzen durch Vergärung zu entfernen. Dazu lässt man die Samen etwa ein bis zwei Tage in Wasser einweichen, bis sie zum Boden sinken und sich nicht mehr glitschig anfühlen. Schließlich werden auch sie zum Trocknen ausgelegt.
In jedem Fall müssen die Samen komplett trocken sein, bevor sie, gut verpackt, trocken und eher kühl gelagert werden.
Samenfeste Sorten und Hybriden
Die sichere Vermehrung über Samen gelingt nur mit „samenfesten“ Sorten. Diese geben ihre Eigenschaften durch klassische Vererbung an die nächste Generation weiter.
Anders ist das bei „Hybriden“. Diese sind „Einmalsorten“ und müssen (in aller Regel) jährlich neu gekauft werden, da sie sich nicht zuverlässig vermehren lassen. Wird eine Hybridsorte weiter vermehrt, bildet sie nur unfruchtbare Samen aus oder spaltet sie in verschiedene Formen auf. Spätestens bei der zweiten Generation wird man Probleme bekommen.
Einem Samenkorn ist nicht anzusehen, ob es sich um eine Hybride oder eine samenfeste Sorte handelt. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um samenfeste Sorten bei: Lokalsorten, alten Sorten, Sorten aus biologischer Züchtung.
Die hohe Kunst der Samengärtnerei
Je nach Pflanze ist es unterschiedlich schwierig, sortenrein Saatgut zu gewinnen. Manche kreuzen sich leicht mit anderen Sorten und müssen daher getrennt angebaut werden, bei anderen ist das Risiko einer Verkreuzung gering.
Vorsicht ist in jedem Fall geboten, wenn in der Nähe Zierkürbisse angebaut werden! Wenn diese sich mit Zucchini oder essbaren Kürbissen kreuzen, können aus den im nächsten Jahr angebauten Samen tödlich-giftige Kreuzungen entstehen. Daher sollte man sie immer getrennt anbauen. Vor dem Verzehr sollte man ein kleines Stück roh probieren, um sicher ausschließen zu können, dass das Gemüse bitter schmeckt – ein Zeichen dafür, dass ein Zierkürbis eingekreuzt wurde oder die Pflanze durch Stress (z.B. lange Trockenheit) giftige Bitterstoffe gebildet hat. Dann darf das Gemüse auf keinen Fall gegessen werden!
Gute Quellen für Infos, Saatgut & Pflanzen
Deutschland: Dreschflegel e.V.
Österreich: Arche Noah – Gesellschaft zur Erhaltung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt
Schweiz: Pro Specie Rara
Frankreich: Kokopelli
Buchtipps
–Handbuch Samengärtnerei von Andrea Heistinger / Arche Noah / Pro Specie Rara (wichtige Grundlagen der Samengärtnerei und Pflanzenportraits)
-Pflanzen selbst vermehren von Helmut Jantra (insbesondere interessant für die vegetative Vermehrung)
Na, Lust bekommen, selbst zu gärtnern, zu sammeln und haltbar zu machen?
Oder weitere Ideen für mehr Selbstversorgung in der Stadt? Dann gerne ab damit in die Kommentare!
In weiteren Teilen dieser Serie geht es um Nutztiere in der Stadt, selbst gemachte Naturmedizin und Kosmetik, DIY, Recycling, Upcycling und vieles mehr, was auch in der kleinen Stadtwohnung möglich ist.
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Das Projekt „StadtSelbstversorger“ hat sich übrigens der Selbstversorgung in der Stadt verschrieben. Mehr Infos sowie Links und Artikel gibt es auf Facebook.
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Ab sofort immer samstags auf cleanenergy-project.de.
Mehr von der freien Autorin Nadine Wahl gibt es auf www.nadinecarolin.com sowie bei Facebook und Instagram.
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