Im Jahre 1972, als der Filmemacher Josh Fox geboren wurde, bauten seine Eltern zusammen mit ihren Hippie-Freunden ein Haus in den Wäldern Pennsylvanias. Fox lebt noch heute dort, in einer abgeschiedenen, naturbelassenen Umgebung, fernab jeglicher Großstadthektik, an einem Fluss, in dem man angeln kann. Im Jahr 2009 erhielt Fox einen Brief: Ein Öl- und Gasförderunternehmen bot ihm 100.000 US-Dollar für sein Grundstück, da es sich über dem sogenannten Marcellus Shale befindet, einer Schieferformation im Nordwesten der USA, die riesige Mengen an Schiefergas (Shale Gas) enthält, und sich von Pennsylvania und New York bis nach Ohio und West Virginia erstreckt. Es handelt sich um sogenanntes unkonventionelles Erdgas, das nur mit aufwändigen Fördertechniken erschließbar ist, dem umstrittenen ‚Hydraulic Fracturing‘ oder ‚Fracking‘.
Fox stellt Erkundungen an, er will wissen, was es mit dem Fracking und dem Schiefergas auf sich hat, was mit seinem Land geschehen soll, mit dem Fluss. Bei den zuständigen Unternehmen stößt er jedoch auf taube Ohren. Niemand will ihm Auskunft geben. Daher macht Fox sich auf zu einer ungewöhnlichen Reise. Er begibt sich zu den Schauplätzen der Erdgasförderung. Er befragt Anwohner und Betroffene und erkundet, was hinter den harmlosen Kulissen der Öl- und Gasförderunternehmen vor sich geht. Was er aufdeckt, ist erschütternd. In den Medien wird Shale Gas als sauberer, umweltfreundlicher und zukunftsweisender Energieträger dargestellt, als Hoffnungsträger. Die Wirklichkeit sieht anders aus, denn die Fracking-Technologie hat unvorstellbare Auswirkungen auf Menschen und die Umwelt.
Zum Fracking benötigt man Bohrflüssigkeit, eine Mischung aus über 596 Chemikalien, darunter zahlreiche umweltschädliche und krebserregende Stoffe. Für jede Bohrung sind zwischen einer und sieben Millionen Gallonen Wasser notwendig. Eine Gallone Wasser sind 3,78 Liter. Umgerechnet verbraucht jedes Fracking-Bohrloch also zwischen 3,8 und 26,5 Millionen Liter Wasser. Zur Erschließung der Gasvorkommen werden hunderte bis tausende Bohrlöcher angelegt, nicht nur über dem Marcellus Shale. Für die Fertigstellung eines einzigen Bohrlochs sind außerdem 1.150 Lkw-Fahrten nötig. Allein für den Wassertransport bedarf es 500 bis 600 Lkw-Fahrten. Das Wasser, das nach der Bohrung wieder an die Oberfläche gepumpt wird, landet in Absetzbecken, zum Teil wird es über Düsen in die Luft gesprüht, damit es schneller verdunstet. Es enthält aber noch immer hochgiftige Bohrchemikalien, die an die Luft gelangen. Zur Gasförderung werden außerdem Kompressoren eingesetzt, die die Luft verschmutzen, ebenso Kondensationstanks, aus denen Unmengen an Kohlenwasserstoffen entweichen.
In den Erschließungszonen kommt es zunehmend zu Trinkwasserproblemen. Wasserressourcen sind mit Bohrchemikalien belastet. Aus den Wasserhähnen fließt dunkelbraunes Wasser, das die Förderunternehmen als sauber deklarieren. Menschen leiden unter chronischen Kopfschmerzen, unerklärlichen Beschwerden und Asthma; Tieren geht das Fell aus. Mit den Bohrungen entweichen große Mengen Methan in Grundwasserressourcen. In Louisiana, Wyoming und Colorado ist Erdgas nachweislich in Trinkwasserreservoirs gelangt. Fox hört von explodierten Wassertanks, feuerspuckenden Wasserhähnen und brennendem Trinkwasser. Abgesehen davon entweichen beträchtliche Mengen Methan in die Atmosphäre und verursachen zusätzliche Emissionen – Emissionen, die nirgendwo erfasst werden. Die Gasunternehmen entziehen sich ihrer Verantwortung und die Betroffenen sind handlungsunfähig; denn das Hydro-Fracturing ist vom Safe-Drinking-Water-Act, dem Trinkwasserschutzgesetz der USA, ausgenommen. Die Bohrungen finden in zu großer Tiefe statt, so die Begründung, als dass sie Auswirkungen auf das Trinkwasser haben könnten. Das ist weit gefehlt, doch es enthebt die Behörden jeglicher rechtlicher Grundlage, gegen die Unternehmen vorzugehen.
In spektakulären Bildern begleitet der Film „Gasland“ Josh Fox auf seiner Reise quer durch die USA. Handkameraaufnahmen zeigen in ungewöhnlichen Perspektiven eine etwas andere Sichtweise auf die Gasförderung als die von den US-Medien projizierte. Interviews mit Betroffenen sprechen ihre eigene Sprache. Die Stimme des Erzählers lässt etwas von deren Resignation und Enttäuschung auf den Zuschauer übergreifen – Resignation gegenüber der Regierung, den Förderunternehmen und all jenen, die tatenlos zusehen.
Der Film entstand 2009, ist aber angesichts der Debatte um die Anwendung von Fracking-Fördertechnologien in Europa heute nicht weniger aktuell. In der EU gibt es derzeit zwischen 20 und 30 Probebohrungen, die meisten davon in Polen, wo riesige Schiefergasvorkommen vermutet werden – unter anderem in Pommern, der Danziger Bucht und an der ukrainischen Grenze. Mitte vorigen Jahres hat die polnische Regierung hunderte Bohrkonzessionen für die Suche nach unkonventionellem Gas vergeben. Die Umweltfolgen einer Erschließung wären verheerend. Auch in Schweden, Frankreich und Großbritannien werden Gasfelder erkundet. In Deutschland gibt es dem Umweltbundesamt zufolge fünf Probebohrungen in Niedersachsen. ExxonMobil erkundet nach eigenen Angaben derzeit an zahlreichen Standorten in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen den Einsatz der Technologie, weitere Unternehmen haben Genehmigungen für Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Niemand weiß jedoch, was für Folgen eine Erlaubnis zur Förderung hierzulande hätte.
Josephin Lehnert
Kann den Film nur empfehlen.
Allerdings sollte man nicht vergessen, dass man nicht alle Firmen der Branche über einen Kamm scheren kann und sollte.
Ich denke, dass Ort und Firma einen extremen Einfluss darauf haben, wie gearbeitet wird und womit.
Wenn da mitten in den USA bei einer Firma xyz , die mitten auf dem Land bohrt, ca 600 Chemikalien drin sind in der Flüssigkeit, heißt das noch lange nicht, dass diese Firma das in Deutschland machen dürfte.
Allerdings zeigen die aufgeführten Umweltschäden auch, wieso man diese Reservoirs bisher nicht angerührt hat.
Dass die Behörden nichts dagegen tun können, halte ich für seltsam und liegt wohl eher daran, dass die USA ein bescheidenes Rechtssystem haben.
Ich denke nicht, dass in Deutschland ohne jegliche Auflagen gebohrt werden darf. Und hier habe ich eher von 95% Wasser in der Flüssigkeit gelesen und nicht von 596 Chemikalien.