Cattenom – Das Ende einer Laufzeit

Kraftwerk

Krimi-Autor Werner Geismar gibt sich mit dem deutschen Atomausstieg nicht zufrieden. In seinem neuen Roman „Cattenom – Das Ende einer Laufzeit“ geht er der Frage nach, was passieren würde, wenn mitten im dicht besiedelten Europa ein atomarer Super-GAU auftritt. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie ein Blick auf die Sicherheit deutscher und vor allem französischer Reaktoren zeigt.

Zwar hat die Bundesregierung 2011 in Reaktion auf die Nuklearkatastrophe von Fukushima Daiichi in Japan ihre Haltung zur Atomenergie schlagartig geändert und in der Folge acht veraltete Atommeiler vom Netz genommen. Neun AKW sind aber immer noch in Betrieb, das letzte wird erst 2022 abgeschaltet. Die breite Öffentlichkeit wiegt die Bundesregierung mit ihrer neuen Anti-Atomkraft-Strategie in trügerischer Sicherheit. Wie wenig diese Haltung den realen Tatsachen entspricht, zeigt Werner Geismar in seinem neuesten Thriller „Cattenom – Das Ende einer Laufzeit“. Das französische Kernkraftwerk Cattenom nahe der deutschen Grenze wird darin von einem atomaren Super-GAU heimgesucht. Geismar präsentiert einen spannenden und gut recherchierten Roman, den man nur schwer aus der Hand legen kann, obgleich die Geschichte einige unerwartete und etwas überraschende Wendungen nimmt.

Heftige Unwetter, Schneestürme und Eisregen führen dazu, dass im französischen Kernkraftwerk Cattenom die Kühlwasserzufuhr eingeschränkt ist. Der Direktor des Kraftwerks nimmt den Fall nicht ernst und weigert sich, die Stromversorgung für die Schweiz zu kappen, weil er auf einen lukrativen Aufsichtsposten spekuliert. Ein Stromausfall wegen Wassereinbruchs und ein Rohrbruch führen schließlich zu einer prekären Situation. Die Notstromaggregate springen nur für einen der vier Reaktorblöcke an und die Kühlwasserzufuhr ist am Ende gar nicht mehr gewährleistet. Ein wenig irritierend für den Leser spinnt Geismar dieses sich anbahnende Drama allerdings nicht weiter, sondern kürzt die Katastrophe ab, in dem er ein von somalischen Rebellen entführtes Flugzeug in das Kraftwerk stürzen lässt. Die gewaltige Explosion legt Teile der Brennstäbe frei und es kommt zur Kernschmelze, bei der lebensgefährliche Mengen radioaktiver Strahlung freigesetzt werden. Die Behörden sind überfordert, die Informationspolitik versagt. Es dauert lange, bist erste Rettungsmaßnahmen ergriffen werden, vor allem, da die Zuständigen die Katastrophe herunterspielen und der Öffentlichkeit die Wahrheit über deren Ausmaß verschweigen. Die Evakuierungsmaßnahmen kommen für viele zu spät. Hunderttausend Menschen sterben – entweder sofort oder an den Spätfolgen der Kontamination.

CattenomDas Szenario, das Geismer zeichnet, ist nicht weit von Wirklichkeit entfernt. Erst im Oktober 2012 mussten zwei Reaktoblöcke in Cattenom abgeschaltet werden, weil die Kühlwasserfilterung nicht funktionierte. Geismar zeigt mit seinem Buch – wenn auch in stark überspitzter Form – die Schwächen der europäischen Atompolitik auf. Der Mangel an brauchbaren Katastropheneinsatzplänen, die im Ernstfall chaotische Informationsweitergabe, vor allem aber die massiven Sicherheitsmängel in vielen AKWs. Frankreichs ältestes Kraftwerk Fessenheim etwa liegt ebenso wie Cattenom sehr nahe der deutschen Grenze (ein Kilometer) und sollte eigentlich schon nach der französischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2012 abgeschaltet werden. Nach seinem Wahlsieg verschob François Hollande die Abschaltung auf 2016. Fessenheim liegt ebenso wie Cattenom in der Erdbebenzone des Rheingrabens. Es gibt kein hinlängliches Erdbebenwarnsystem. Die Technik ist veraltet, es kam in den letzten Jahren zu zahlreichen, wenn auch bisher nur kleinen, Störfällen.

Auch deutschen Kernkraftwerken fehlen Erdbeben-Warnsysteme sowie internationale Leitlinien für schwere Unfälle. Im jüngsten Bericht zur Sicherheit deutscher Atomkraftwerke der EU-Kommission fehlt zudem gänzlich eine Bewertung der Terrorsicherheit deutscher Atomkraftwerke. Dass diese einem Anschlag aus der Luft kaum standhalten würden, beispielsweise einem gezielten Flugzeugabsturz, ist kein Geheimnis. Französische Kraftwerke hatten im EU-Stresstest im Herbst 2012 am schlechtesten abgeschnitten. Vor allem fehlende oder ungenügende Erdbeben-Messgeräte, sichere Lagerung von Unfallausrüstung und Mängel bei der Prüfung von Erdbeben- und Flutgefahren waren die Kritikpunkte. Frankreich ist nach den USA der weltweit zweitgrößte Betreiber von AKW und bezieht 75 Prozent seines Stroms aus Kernenergie.

Werner Geismars Anliegen, mit seinem Buch auf die nach wie vor vorhandenen Schwächen der Atompolitik aufmerksam zu machen, ist ihm zweifelsfrei gelungen. Er hat keinen billigen Abklatsch des Kinderbuches „Die Wolke“ geschaffen, sondern eine – zumindest im ersten Teil des Buches – minutiöse und sehr präzise Dokumentation eines nicht unwahrscheinlichen Schreckenszenarios. Er zieht den Leser in Einzelschicksale mit hinein und zeigt unbarmherzig und ohne Rücksicht auf Verluste welche Auswirkungen ein Super-GAU im Herzen Europas haben kann. Und er zeigt noch etwas: wie gefährlich Profit- und Machtgier sein können. Nicht umsonst lässt er am Ende nur einen Menschen überleben und schließt sein Buch mit dem Satz „Letztendlich hatte er mit seiner Theorie Recht behalten, dass Überleben auch eine Sache des Geldes sei“. Was nach dem Lesen zurückbleibt, ist ein beklemmendes Gefühl und eine leise Furcht – dass das, was Geismar in seinem Buch beschreibt, eines Tages doch wahr werden könnte.

Josephin Lehnert

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