Die „Energiewende“ – in Deutschland im Jahr 2011, nach der Atomkatastrophe von Fukushima, zur politischen Priorität erhoben – ist mittlerweile auch im englischsprachigen Raum zum Schlagwort geworden, ähnlich bekannt wie „Eisberg“ oder die sprichwörtliche „German Angst“. Die Transformation des Energiesystems weg von fossilen Energiequellen und Energieverschwendung hin zu erneuerbarer Energieerzeugung und effizienterer Nutzung ist ein globales Phänomen, denn der Klimawandel kennt keine nationalen Grenzen. Konkrete Maßnahmen müssen jedoch lokal ergriffen werden und gerade bei der Nutzung regenerativer Energieressourcen ist Dezentralität eines der großen Stichworte.
Ganz in diesem Sinne erklärte der Moderator der Auftaktveranstaltung des Leutkircher Energiefrühlings am Freitag, den 12. April, es solle nicht über „die große Politik“ diskutiert werden, sondern über greifbare Umsetzungsmöglichkeiten in der Region. Die Podiumsdiskussion zum Thema „Energiewende in Oberschwaben/Allgäu – Chancen und Probleme bei der Umsetzung“ läutete die dreitägige Messe in der Leutkircher Festhalle ein, bei der 40 Aussteller aus der Umgebung Produkte und Konzepte rund um die nachhaltige Energieversorgung präsentierten. Als illustrester Gast war Arno Zengerle, der Bürgermeister der für ihren entschlossenen Umstieg auf erneuerbare Energien bekannten Gemeinde Wildpoldsried, zugegen. Mit ihm diskutierten Walter Göppel von der Energieagentur Ravensburg, Dieter Herz von der Firma Herz und Lang sowie Dr. Andreas Thiel-Böhm, Geschäftsführer der Technischen Werke Schussental.
Die Energieagentur Ravensburg stellte einige Erkenntnisse aus dem lokalen Energiekonzept für die Region Bodensee/Oberschwaben vor, das vorsieht, dass der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtversorgung von 20 Prozent im Jahr 2010 bis 2022 auf 60 Prozent gesteigert wird. Dies sei jedoch nur möglich, so Walter Göppel, wenn in den Bereichen Energieeinsparung und Kraft-Wärme-Kopplung große Fortschritte gemacht würden sowie durch einen signifikanten Ausbau der Windkraft in der Region. Die Teilnehmer waren sich einig, dass die Windkraft eine tragende Rolle in der regionalen Energiewende spielt, gleichzeitig jedoch aufgrund der teilweise sehr großen Vorbehalte der Anwohner eines der kritischsten Elemente in der Umsetzung darstellt. Dr. Andreas Thiel-Böhm von den Technischen Werken Schussental, die diverse Windparks in der Region planen, konnte bestätigen, dass die Implementierungsphasen aufgrund in den letzten Jahren verschärfter Genehmigungen und Vorschriften sowie Widerständen von Bürgerinitiativen Monate bis Jahre dauern.
Arno Zengerle aus Wildpoldsried, wo bereits elf Windkraftanlagen stehen und am Tag der Podiumsdiskussion eine Vereinbarung mit vier Nachbargemeinden zum Bau von zehn weiteren Windrädern unterzeichnet wurde, bestätigte die Wichtigkeit der Bürgerbeteiligung für die Zustimmung zu solchen Projekten. In seinem Dorf wurden die Einwohner von Anfang an in alle Entscheidungen einbezogen, die Zustimmung zur Windkraft betrug bei der ersten Befragung 92 Prozent. Neun der elf bestehenden Windräder gehören den Bürgern, zwei – die nun allerdings im Zuge des Baus der neuen Anlagen ausgetauscht werden – dem örtlichen Stromversorger.
Doch auch sonst sieht Zengerle die Bedenken, die sich zumeist vor allem auf die Verschattung sowie die Geräuschemissionen beziehen, wenig dramatisch. „Letztes Jahr habe ich in Wildpoldsried Besuchsgruppen aus 30 Ländern empfangen“, erzählt er. „Immer wenn ich mit den Leuten auf dem Feld stehe, fragen sie mich, wann das Rad denn richtig losgeht – man hört ja gar nichts.“ Er weist darauf hin, dass – solange der gesetzlich vorgegebene Mindestabstand von 800 Metern zum nächsten Siedlungsgebiet eingehalten wird – die neuen Modelle als Langsamläufer inzwischen so geräuscharm sind, dass für die Anwohner dadurch keine Belästigung entsteht.
Auch bei der nun gerade beschlossenen Vereinbarung zum Bau neuer Windkraftanlagen in Wildpoldsried und den umliegenden Gemeinden wurde großer Wert auf Konsens gelegt. Die durch die regenerative Energieerzeugung entstehenden Steuereinnahmen werden paritätisch zwischen den teilhabenden Gemeinden aufgeteilt, unabhängig davon, welche Anlage auf wessen Gemeindeflur steht. Es zeigt sich an diesem Beispiel, dass eine Kombination aus Partizipation und Konsens bei der Entscheidungsfindung, finanzielle Beteiligung am Erfolg sowie ein Gefühl von Solidarität gegenüber einem gemeinsamen Projekt zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren gehören, die eine solche lokale Energiewende auf Gemeindeebene möglich machen.
Das Gelingen der ländlichen Energieumrüstung sei auch im Interesse der Städte, betonte Dr. Thiel-Böhm, denn in Zukunft wird eine systemische Vernetzung von Stadt und Land eine immer größere Rolle für die Versorgung mit Strom und Wärme spielen. So wie schon vor Hunderten von Jahren Agrarprodukte vom Land in die Stadt geliefert wurden, wird bald auch Energie aus umliegenden Regionen in die Metropolen transportiert werden. „Auf dem Land muss die Entwicklung daher noch drastischer sein“, so Thiel-Böhm, „nicht hundert, sondern 150 bis 200 Prozent des Energiebedarfs muss aus erneuerbaren Quellen generiert werden.“
Franziska Buch
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