Addis Abeba kann wirklich ziemlich anstrengend sein. Besonders, wenn man etwas sucht oder jemanden finden möchte: In der riesigen und unübersichtlichen äthiopischen Hauptstadt gibt es nämlich keine Adressen. Straßen und Plätze haben zwar schon gelegentlich Namen, diese wurden aber in der wechselvollen Geschichte des Landes immer mal wieder an die jeweils aktuelle politische Situation angepasst. So heißt der größte Platz der Stadt heute offiziell nicht mehr Revolutionsplatz, sondern Meskel Square – benannt nach dem der Revolution unverdächtigen gelben Meskel-Blümchen. Aber die meisten Menschen nennen den Platz immer noch Abiot, Revolution. In dieser allgemeinen Verwirrung haben sich statt dem in Europa üblichen Adresssystem in der afrikanischen Millionenstadt Ortsbeschreibungen durchgesetzt. „Gegenüber dem Sunshine Building“ ist so eine Ortsbeschreibung, oder „am Confusion Square“.
Mit einer langen Liste solcher Beschreibungen bin ich nun in Addis Abeba unterwegs. Zusammen mit einem äthiopischen Fahrer habe ich die mühsame Aufgabe, in der ganzen Stadt nach Firmen zu suchen, die Solaranlagen verkaufen. Ich soll nämlich für die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit zu einem „Stakeholder Meeting der äthiopischen Solarbranche“ einladen. Die GTZ möchte mit diesem Meeting helfen, eine zivilgesellschaftliche Vereinigung von Händlern, Importeuren, Monteuren, Betreibern, Forschern und Beratern, die im Bereich der solaren Energiegewinnung tätig sind, zu etablieren. Eine solche Vereinigung soll dann als Interessenvertretung diese umweltfreundliche Energiewandlungstechnologie hier am „Horn von Afrika“ voran bringen.
Äthiopiens Potenzial an erneuerbaren Energien
Gute Voraussetzungen für die Nutzung erneuerbarer Energien hat Äthiopien allemal: So verweist Äthiopiens Tourismuswerbeslogan „13 Month of Sunshine“ nicht nur auf den seltsamen äthiopischen Kalender, sondern auch auf das gewaltige Solarpotenzial des Landes. Und wirklich ist die Strahlung im äthiopischen Hochland so stark wie in der Sahara. Aber in der „Rainy Saison“ regnet es hier auch viel – Wasser, das dann das Hochland hinunter rauscht und dabei zur Energiegewinnung genutzt werden kann. Außerdem durchzieht das „African Rift Valley“, ein gigantisches Tal von kontinentalen Ausmaßen, das ganze Land und sorgt für sehr gut Möglichkeiten der Erdwärmenutzung.
Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt. Und trotz der hervorragenden Voraussetzungen für erneuerbare Energien ist insbesondere Energiearmut ein großes Problem. Noch heute werden 70 bis 80 Prozent des Primärenergiebedarfs in Äthiopien aus Biomasse gedeckt. Klingt umweltfreundlich, ist es aber nicht: Es gibt hier nämlich keine nachhaltige Energiepflanzenwirtschaft. Die schnell anwachsende Bevölkerung holt sich ihr Feuerholz einfach aus den Wäldern. Und die Wälder sterben, das ist nicht zu übersehen. Mit den Wäldern geht auch viel landwirtschaftlich nutzbarer Untergrund für immer verloren – fatal für ein Land, das sich bis heute nicht selbst ernähren kann. Und mit dem Brennholz kann dann auch nur gekocht und vielleicht noch geheizt werden. Die Treibstoffe für den Verkehr hingegen müssen komplett für viel Geld importiert werden. So musste Äthiopien 2007 ganze 50 Prozent seiner Exporteinnahmen für den Import von fossilen Treibstoffen ausgegeben.
Energieversorgung mittels Inselsystemen
Es ist ganz offensichtlich: Erneuerbare Energien können Äthiopien wirklich helfen. Sie können sich als kleine Inselsysteme viel besser an die dezentrale Besiedlungsstruktur des weitläufigen und unwegsamen Landes anpassen als fossile Großkraftwerke. Kleine Solaranlagen können kleine Wasserpumpen für kleine Dörfer antreiben. „Solar Home Systems“ bringen Licht in die winzigen „Tukuls“, die traditionellen kreisrunden Strohhütten. Die Gesundheitszentren auf dem Lande können mit Solarzellen ihre Medizin kühlen. Und mit einem behutsamen und nachhaltigen Energiepflanzenanbau kann Äthiopien in Zeiten hoher Rohölpreise auf dem Weltmarkt richtig Geld verdienen.
Wegen ihrer ernormen Vorteile insbesondere für Entwicklungsländer haben die erneuerbaren Energien sich heute als wichtigen Bestandteil der internationalen Entwicklungszusammenarbeit etabliert. So fördert das Bundesministerium für wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung zurzeit in 45 Partnerländern Vorhaben, die der Verbreitung erneuerbarer Energien dienen. Und auch die Wirtschaft hat diesen Bereich für sich entdeckt: Maßgeschneiderte Lösung für Entwicklungsländer wie etwa die winzigen „Pico-“Wasserkraftwerke, die sogar transportabel sind und sich so für Nomadenvölker eignen oder auch die heute schon gängigen Solar Home Systems bilden inzwischen einen durchaus lukrativen Markt für die erneuerbare Energien-Branche.
Saubere Energie als Entwicklungshelfer
Klar können erneuerbare Energien nicht alle Problem dieser Welt lösen. Korruption, Unterdrückung, Misswirtschaft: Es gibt viele Baustellen in der Entwicklungszusammenarbeit. Aber ganz allgemein ist eine nachhaltige Energieversorgung eine kaum zu überschätzende Grundvoraussetzung für Entwicklung. Egal, ob man die Bereiche Bildung, Gesundheit, Ernährung, Wirtschaft, Sicherheitspolitik oder Umweltschutz betrachtet: Immer sind zuverlässige, günstige und saubere Energiequellen zentrale Bestandteile für die notwendigen Verbesserungen.
Zu tun gibt es für die Entwicklungsorganisationen, die sich für erneuerbare Energien engagierten, sehr viel: Je nach Entwicklungsstand und Rahmenbedingungen der verschiedenen Länder gilt es, selbst Anlagen zu errichten und zu finanzieren, die energiepolitischen Voraussetzungen für eine Nutzung der Erneuerbaren zu schaffen, Technologietransfer zu leisten, für eine entsprechende Ausbildung zu sorgen, sodass die Anlagen auch betrieben und gewartet werden können. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, zivilgesellschaftliche Strukturen zu etablieren, die dann den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien selber in die Hand nehmen können.
Aufbruchstimmung
Das „Stakeholder Meeting der äthiopischen Solarbranche“ der GTZ ist gut besucht. So gut, dass ich selbst keinen Sitzplatz finde und stehen muss. Ich bin stolz, dass so viele der von mir eingeladenen Solarfirmen vertreten sind – und dass ich diese in dem Labyrinth namens Addis Abeba überhaupt gefunden habe. Eine allgemeine Aufbruchstimmung scheint in der Luft zu liegen. Bei diesem Meeting ist spürbar, dass hier der starker Wunsch vorhanden ist, mit erneuerbaren Energien wirklich etwas zu verändern. Man ist sich einig: Die beworbenen dreizehn Monate Sonnenschein können nicht nur sonnenhungrige Ferenijs (Weiße) anlocken, sondern sie können auch eine nachhaltige und bezahlbare Energieversorgung für alle Äthiopier ermöglichen.
Stefan Heimann
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