Während Politiker die Energiewende zur „Chefsache“ erklären, aber dann von vielfältigen Interessenskonflikten aufgerieben werden, sind die Bürger bereits rege mit der Umsetzung beschäftigt. Sie gründen Genossenschaften und investieren in den Ausbau der erneuerbaren Energien – und stärken dabei die Wirtschaft in ihrer Region.
Die Zustimmung der Bürger zur Umsetzung der Energiewende ist groß. Mittlerweile ist die Erkenntnis weit verbreitet, dass Klimawandel, die Abhängigkeit von Energieimporten und „Peak Oil“ nach neuen Lösungen für unsere zukünftige Energieversorgung verlangen. So hat das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid kurz vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 in Deutschland eine Umfrage durchgeführt und kam zu dem Ergebnis: 93 Prozent der Bevölkerung wollen einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien.
Insbesondere in Deutschland mit seinem zentralistisch angelegten Energiesystem kommen zu den oben genannten noch zusätzliche Beweggründe hinzu: Die Menschen wollen sich aus der Abhängigkeit der vier großen Energieversorger befreien und eine demokratischere Gestaltung der Strom- und Wärmeerzeugung erreichen, die regional verankert ist.
Während die Mühlen der Politik oft langsam mahlen und von vielfältigen gegenläufigen Interessen beeinflusst werden, wollen die Bürger hier und jetzt dazu beitragen, dass Atom- und Kohlekraftwerke überflüssig werden – und sie tun es bereits mit großem Erfolg. Mehr als zehn Prozent des gesamten Strombedarfs wird etwa in Deutschland bereits aus Erneuerbare-Energien-Anlagen, die Bürgern gehören, gedeckt, so das Ergebnis einer Studie des Marktforschungsinstituts trend research und der Leuphana Universität Lüneburg. Dabei generieren Bürger 47 Prozent der installierten Ökostromleistung und damit knapp vier Mal so viel wie die großen Energieversorger mit 12 Prozent. Der Ökostrommarkt entwickelt sich damit von einem nahezu monopolistischen zu einem polypolistischen Markt.
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Doch welche Arten der Bürgerbeteiligung gibt es eigentlich? Da sind einmal Einzelpersonen wie der Hausbesitzer, der sein Eigenheim mit Strom aus einer PV-Anlage versorgt, oder der Landwirt, der eine Biogasanlage betreibt. Darüber hinaus gibt es aber zahlreiche Formen des gemeinschaftlichen Engagements für die Energiewende. So tun sich Bürger zusammen, um mit Unterstützung der örtlichen Sparkasse eine Solaranlage auf dem Dach der Schule zu installieren oder ganze Dorfgemeinschaften entscheiden gemeinsam, den Ort auf lange Sicht zu 100 Prozent mit Strom aus lokal verfügbaren erneuerbaren Ressourcen zu versorgen. Die am meisten etablierte Organisationsform ist die Energiegenossenschaft. Diese ist demokratisch organisiert: Egal wie hoch die Summe ist, die ein Mitglied investiert, so hat jedes Mitglied dennoch nur eine Stimme.
In Deutschland sind aktuell etwa 700 Bürgerenergiegenossenschaften mit insgesamt circa 150.000 Mitgliedern registriert. Anfang 2012 waren es erst 80.000 Mitglieder. Etwa 90 Prozent der existierenden Energiegenossenschaften sind in den letzten fünf Jahren gegründet worden. Die Zahlen belegen das rasante Wachstum des Bürgerengagements für die Energiewende. Bis Ende 2012 hatten Genossenschaften bereits 1,2 Milliarden Euro in Bürgerkraftwerke investiert, sowohl im Strom- als auch im Wärmebereich. Dabei stehen PV-Anlagen besonders hoch im Kurs: Jede zweite Energiegenossenschaft (53 Prozent) gab in einer Umfrage des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) im März 2013 an, für die kommenden 12 Monate zusätzliche Investitionen in Solaranlagen zu planen.
Der DGRV gründete als Konsequenz der zunehmenden Bedeutung der Bürgerenergie im November 2013 die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften. Diese soll die Mitglieder bei Interessensvertretung, Öffentlichkeitsarbeit, Professionalisierung der Geschäftsabläufe und der Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen unterstützen, da viele Verantwortliche in Energiegenossenschaften ehrenamtlich arbeiten.
Wenn man diesen Boom bei den Energiegenossenschaften in den letzten Jahren betrachtet, könnte man denken, es handele sich um ein neues Phänomen. Tatsächlich gründeten sich jedoch bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Energiegenossenschaften, denn damals war auch in den europäischen Industrieländern – so wie heute noch in vielen Entwicklungsländern – an eine flächendeckende Versorgung der ländlichen Regionen mit Elektrizität noch nicht zu denken.
Heute hingegen ist der Fokus ein anderer: Es geht um die Ausbreitung der erneuerbaren Energien und eine dezentrale, demokratische Energieversorgung. Die geänderte Gesetzeslage hat auch bei den Energiegenossenschaften nun zur Folge, dass sie sich vermehrt mit neuen Geschäftsmodellen auseinandersetzen. Denn die für Genossenschaften typischen mittelgroßen Solarstromanlagen erhalten ab Januar 2014 für ein Zehntel des erzeugten Stroms keine Einspeisevergütung mehr. Daher denkt aktuell etwa jede zweite deutsche Genossenschaft über die regionale Direktvermarktung des selbst generierten Stroms nach. So werden Bürger, insbesondere in ländlichen Gegenden, durch die Energiewende zu Unternehmern, die flexibel auf Änderungen der politischen Rahmenbedingungen reagieren müssen und dabei gleichzeitig die lokale Wirtschaft stärken.
*Dieser Artikel wurde erstmals im SolarMax Globe 01/2014 veröffentlicht.
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