Emissionshandel, CO2-Zertifikate und -Kompensationsprojekte – was steckt hinter diesen Begriffen? Und wie seriös und wirksam sind diese Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel? Wir sprachen mit Dr. Sebastian Brandis, Vorstand der Stiftung Menschen für Menschen.
CEP: Zertifikate für von CO2-Kompensationsprojekte sind in letzter Zeit in die Kritik geraten. Die Zeit und der Guardian haben unter anderem schwarze Schafe unter den Zertifizierern entlarvt. Sollte der ganze Emissionshandel überdacht werden?
Dr. Brandis: Meiner Meinung nach sollte man sich nicht dazu hinreißen lassen, das Instrument der CO2-Kompensation insgesamt in Frage zu stellen oder gar als wirkungslos zu bezeichnen. Es ist eine Tatsache, dass wir die Renaturierung vieler Gebiete der Erde brauchen, um CO2-Ausstöße zu kompensieren. Dabei werden im Übrigen diverse weitere positive Nebeneffekte erzielt, zum Beispiel die Erhaltung der Biodiversität und eines gesunden Mikroklimas. Auch nach Energieeinsparungen oder dem Umstieg auf erneuerbare Energien wird das gültig bleiben.
Fakt ist aber auch, dass all diese Maßnahmen finanziert werden müssen. Das Verursacherprinzip hierbei gültig zu machen, ist sicher nicht die schlechteste Idee. Deshalb halte ich die auf dem freiwilligen Markt erhältlichen CO2-Zertifikate grundsätzlich für ein gutes Mittel, um Emissionen zu verringern oder um Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen zu generieren. Es ist jedoch wichtig und richtig, hier wachsam zu bleiben, Projekte zu überprüfen und deren Methoden, wenn nötig, grundlegend anzupassen.
CEP: Welche Art von Projekten wurden bei The Guardian und Die Zeit kritisiert?
Dr. Brandis: Durch die aktuelle öffentliche Diskussion entsteht der Eindruck, dass die Qualität der Zertifizierungssysteme allgemein zu wünschen übriglässt. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es ganz unterschiedliche Arten von zertifizierten Projekten gibt. Wichtig ist unter anderem eine genaue Unterscheidung zwischen Aufforstungs- und Waldschutzprojekten. Bei Aufforstungsprojekten werden ehemals brachliegende Flächen neu bepflanzt. Zertifikate für den Waldschutz werden ausgestellt, damit bereits bestehender Wald nicht abgeholzt wird. Dabei ist häufig unklar, ob diese Flächen in der Zukunft tatsächlich abgeholzt worden wären. Die Zeit und The Guardian kritisierten in den oben erwähnten Veröffentlichungen ausschließlich Zertifikate für den Waldschutz.
An dieser Stelle ist mir wichtig zu erwähnen, dass Aufforstung auch nicht nur „Bäume pflanzen“ bedeuten darf. Hinter nachhaltigen Aufforstungsprojekten muss ein komplexer, gut durchdachter Prozess stehen, der vor allem auch die lokale Bevölkerung mit einbindet. Nur so kann Aufforstung langfristig, also auch über Jahrzehnte hinweg, gelingen. Neben der reinen Wiederbewaldung oder anderen „nature based solutions“ braucht es zum Beispiel in afrikanischen Ländern auch einkommensschaffende Maßnahmen, die es den Menschen vor Ort ermöglichen, ihr Leben ohne das Fällen von Bäumen zu verbessern. Beispielsweise durch Honigproduktion, durch die Verteilung verbesserter Bienenkörbe, durch Hühnerzucht oder Anpflanzung von Viehfutter sowie Gemüse- und Obstanbau.
CEP: Wie funktionieren Emissionsgutschriften normalerweise?
Dr. Brandis: Seit 2005 ist der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) das zentrale Klimaschutzinstrument der EU zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen von Unternehmen. Für alle am Programm teilnehmenden Unternehmen wird eine Obergrenze festgelegt, wie viele Treibhause zusammen ausgestoßen werden dürfen. Für jede Tonne ausgestoßenes CO2 muss ein CO2-Zertifikat erworben werden. Je weniger Ausstoß erlaubt ist, desto knapper und teurer werden die Zertifikate.
Darüber hinaus gibt es einen freiwilligen Markt an Zertifikaten, der es Marktteilnehmern zusätzlich erlaubt, durch eine finanzielle Förderung in geeignete, meist zertifizierte Projekte zu investieren, die zusätzlich den Ausstoß von Treibhausgasen vermeiden oder diese speichern. Die Stiftung Menschen für Menschen beispielsweise zieht jährlich 10- bis 15 Millionen Setzlinge in Äthiopien und bewaldet damit gemeinsam mit den lokalen Gemeinden 500 bis 1.000 Hektar pro Jahr in integrierten Aufforstungsprojekten. Damit wird der freiwillige Markt zur Bindung von CO2 aus der Atmosphäre bedient.
CEP: Wäre es nicht besser, sich auf die Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu konzentrieren, statt auf Kompensation?
Dr Brandis: Wie wichtig das Reduzieren der Emissionen ist, steht außer Frage. Der Weltklimarat geht jedoch davon aus, dass das Ziel von maximal 1,5 Grad Temperaturanstieg bis 2050, auf den sich 196 Staaten und die EU im Pariser Klimaabkommen 2015 geeinigt haben, durch die alleinige Einsparung von CO2 nicht mehr erreicht werden kann. Deshalb sind CO2-Kompensationen notwendig, die Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre nehmen. Das 1,5-Grad-Ziel ist also nur durch das Zusammenspiel von Vermeidung, Reduzierung und Kompensation zu erreichen. Wobei schon alleine der Begriff Kompensation aber nicht immer das hält, was er verspricht.
CEP: Können Sie das näher erläutern?
Dr. Brandis: Seit dem Pariser Klimaabkommen haben auch die bisherigen Gastgeberländer für CO2-Minderungsmaßnahmen, wie etwa Äthiopien, eigene Klimaziele definiert und müssen darüber Bilanz führen. Nach der bisherigen Systematik entsteht dadurch die Gefahr einer Doppelzählung, dass also etwa ein Aufforstungsprojekt in Äthiopien einerseits auf ein gekauftes CO2-Zertifikat einzahlt, aber gleichzeitig auch auf die Bilanz des Gastgeberlandes. Wer tatsächliche „Klimakompensation“ oder „Klimaneutralität“ beanspruchen möchte, müsste deshalb Zertifikate einsetzen, bei denen eine Doppelzählung ausgeschlossen wird. Deshalb wird zur Beschreibung von Projekten häufig von „Beiträgen zur Klimafinanzierung“ und nicht von Kompensation gesprochen. Auch die Stiftung Menschen für Menschen spricht bei den eigenen Klimaschutzprojekten grundsätzlich von Beiträgen zur Klimafinanzierung.
CEP: Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie mit einem seriösen Zertifizierer zusammenarbeiten?
Dr. Brandis: Grundsätzlich sollten Unternehmen auf bestimmte Kriterien bei der Auswahl der Projekte achten. Zum Beispiel darauf, dass die Projekte tatsächlich zusätzliche CO2-Speicher schaffen, und dabei einem integrierten, ganzheitlichen Ansatz folgen. So muss unter anderem die lokale Bevölkerung in die Projekte einbezogen werden, damit Aufforstung nachhaltig gelingen kann. Für den freiwilligen Emissionsausgleich gibt es internationale Standards wie den Gold Standard (GS), der bestimmte Kriterien – wie Ausschluss von Doppelzählungen, Dauerhaftigkeit und Zusätzlichkeit – überprüft und regelmäßige unabhängige Prüfungen durchführt. Zusätzlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein Projekt nicht schon ohnehin geplant war oder sowieso umgesetzt werden würde. Aber auch Projekte, die sinnvoll und nachhaltig gestaltet sind und (noch) keine Zertifizierung haben, können einen großen Teil zur Bindung von CO2 aus der Atmosphäre beitragen.
CEP: Gibt es die Möglichkeit, gezielt Projekte auszuwählen, die durch den Erwerb der CO2-Zertifikate unterstützt werden?
Dr. Brandis: Auf dem freien Markt grundsätzlich ja, da es möglich ist, sich über konkrete Anbieter und Projekte zu informieren. Menschen für Menschen leistet zum Beispiel mit integrierten Aufforstungsprojekten, über die reine Aufforstung hinaus, weitergehende Maßnahmen. Dazu zählen Boden- und Wasserkonservierungsmaßnahmen, die Verteilung von holzsparenden Öfen oder die Bewusstseinsbildung und Trainings für die Bevölkerung.
Grundsätzlich können bei gewissen Beträgen einzelne Projektteile ausgewählt werden. Bei einer Spende für die gesamten Maßnahmen zur integrierten Aufforstung kann darüber hinaus entschieden werden, in welcher Region die Umsetzung stattfinden soll.
CEP: Gibt es Alternativen zu CO2-Zertifikaten, um Emissionen zu kompensieren?
Dr. Brandis: Durchaus. Auch ohne Zertifizierung gib es sinnvolle, nachhaltige Projekte. Ich bin überzeugt: Der Markt der CO2-Kompensation muss reifen und sich für eine Diskussion zwischen Marktteilnehmern, neuen Projektentwicklern und Zertifizieren öffnen. Wir brauchen größtmögliche Transparenz, um wirksame Projekte von potenziell irreführenden zu unterscheiden. Ein hoher Qualitätsstandard kann dazu beitragen, den Vorwurf des Greenwashing abzuwehren und wirklich sinnvolle, nachhaltige Lösungen zu finden.
CEP: Vielen Dank für Ihre Einschätzung.
Bildquelle und Copyright Foto Dr Brandis: Stiftung Menschen für Menschen